Renaturierung


Im Prinzip sind es drei große Themenkomplexe, die den Negativzustand eines naturfern ausgebauten Gewässers prägen.

1. Kanalisierung / Natürliche Gewässerstrukturen

 

Fließendes Wasser kann –schon bei normalen Abflussverhältnissen- enorme Schleppkräfte entwickeln und dadurch starke Erosionsvorgänge an Gewässersohle, Böschungen und bei Hochwasser auch in weitläufigeren Geländeformationen verursachen. Die natürlichen Fluss- und Bachläufe waren vor der Beeinflussung durch den Menschen durch eine stetige Veränderung ihres Gewässerbettes und ihres Laufes geprägt. Diese permanente Eigendynamik ist ein wichtiger Bestandteil für den –durch viele spezialisierte Tier- und Pflanzenarten geprägten- Lebensraum.

Die Vielfalt an unterschiedlichen Strömungszuständen, Wassertiefen, Sohlsubstratbeschaffenheiten, Deckungsstellen und Verstecken, Warm- und Flachwasserbereichen,  Unterständen und Ruhezonen, Laich- und Legebereichen, ging mit der „Nutzbarmachung“ durch den Menschen verloren und hat zu einem starken Rückgang vieler Begleitarten geführt. Nicht wenige davon sind inzwischen verschwunden.

Platz für eigendynamische Entwicklungsmöglichkeiten ist deshalb auch eine wichtige Zielvorgabe bei Renaturierungsmaßnahmen, stellt gleichzeitig aber auch das größte Konfliktpotential, da hierfür immer angrenzende Flächen benötigt werden, die sich –heutzutage- überwiegend in Privateigentum befinden und für den Naturhaushalt nicht (mehr) zur Verfügung stehen. 

Mit dem Verlust seiner natürlichen Strukturen und der Vegetation schwindet auch das biochemische Selbstreinigungspotential eines Gewässers. Mit der Vegetation verschwinden wichtige Sauerstoffproduzenten und oberflächige Beschattungsinseln, wodurch bei hohen Außentemperaturen -und in gegenseitig negativer Wechselwirkung- Wassertemperatur, Algenbildung und Sauerstoffzehrung zusätzlich ansteigen können. Dies führt im schlimmsten Fall zu einem schlagartigen und vollständigen Sauerstoffverlust im Wasser (Umkippen), was den Tod der meisten dort lebenden Organismen zur Folge hat, auf jeden Fall aber zu einem größeren Fischsterben führt.

bis 2014: Kanalisierter Winkelbach bei Bensheim (Quelle: GVB)
2014: 400 m Deichrückverlegung und Renaturierung (Quelle GVB)

2. Wanderhindernisse / Längsdurchgängigkeit

In den nach Topografie eingestuften Besiedelungsregionen und Gewässertypen liegen die Bäche und Flüsse im Kreis Bergstraße zwischen der Brachsenregion (Flachland, Rhein, Ried) und der oberen Forellenregion (mittelgebirgig, Lindenfels, Hammelbach). Fast alle Wasser-Bewohner haben unter jahreszeitlichem- bzw. auch mehrjährigem Zyklus ihr „Revier“ in wechselnden Gewässerregionen. Der Lebenslauf ist geprägt von der Wanderungen stromauf, teilweise auch stromab, sowie der Abdrift von Eiern, Larven und Jungfischen. So wandern viele Fischarten für ihre Fortpflanzung aus den großen Flüssen in die Oberläufe der Seitengewässer, um dort ihren Laich abzulegen, der dann vor Ort zum Jungfisch schlüpft und später abwandert, oder einfach nur mit der Strömung wieder in die Unterläufe gelangt.

Die Wanderung „nach oben“ ist heutzutage aufgrund der vielen Barrieren in den meisten Gewässern Deutschlands kaum noch möglich, allenfalls sehr schwimmstarke Arten (Lachs, Meerforelle) kommen mit Anlauf und starken Sprüngen „bis oben“ durch. Für die allermeisten Arten, insbesondere für die vielen (bis zu mehreren Hundert!) Arten des Benthos ist bereits ein kleiner, senkrechter Absturz in der Gewässersohle von wenigen Zentimetern ein unüberwindbares Hindernis. Da sich der Benthos vornehmlich in der strömungsärmeren Bodennähe und im Lückensystem von Kies/Sand-Schichten in der Gewässersohle bewegt, sind gepflasterte und betonierte Bachabschnitte lebensfeindliches Terrain und können, durch die Strömung des Wassers, auch nicht überwunden werden.

Die Wanderung aufwärts endet somit oftmals schon an der ersten Wehranlage, Schussrinne oder auch Bodenschwelle etc.

 

Hindernis Längsdurchgängigkeit: Rohrdurchlass (Quelle: GVB)
Massives Wanderhindernis: Carlebachwehr, Weschnitz/Birkenau (Quelle: GVB)

Der „prominenteste“ Bewohner der Weschnitz ist sicherlich der atlantische Lachs, der seine historischen Laichplätze zwischen Birkenau (Bsp. Bachlauf an der Tuchbleiche) und Rimbach (Bsp. Bachlauf an der Martin-Luther-Schule) hatte. Der Langdistanzwanderer hat, bevor er zur Fortpflanzung von der Nordsee über den Rhein in die Weschnitz gelangt, zuvor die halbe Erdkugel umquert. Hinter Weinheim ist dann meistens erst mal Schluss.

Das Birkenauer Tal mit seinen Wasserkraftanlagen (ehemalige Mühlen) ist derzeit das größte Wanderhindernis beim Aufstieg in das Weschnitztal. Trotz seinerzeit –oder auch nachträglich installierter (meist untauglicher) Fischtreppen ist die ökologische Längsdurchgängigkeit nicht gegeben.

Mehrere Wiederansiedelungsversuche haben aber gezeigt, das sich der (besetzte) Junglachs in diesen Abschnitten immer noch sehr wohl fühlt und –seinem Entwicklungsstadium entsprechend-  nach mehreren Jahren Aufwuchsphase flussabwärts wandert, um in die Weltmeere zu gelangen. Zum Ende seines Lebens wird er dann versuchen, an exakt dieselbe Stelle in der Weschnitz zu gelangen, um sich dort zu reproduzieren. Der vor über hundert Jahren gänzlich verschwundene Großsalmonide hatte seine regionalen Laichgründe an der Weschnitz  sicherlich auch schon viele tausende Jahre bevor der Mensch kam.

 

Der Lachs ist deshalb für alle südhessischen und nordbadischen  Revitalisierungsbemühungen am Weschnitzsystem zur Leitfischart/zum Symbolfisch geworden.

 

Lachsbesatz (Smolte) in Birkenau an der Tuchbleiche (Quelle: GVB)
Lachsbesatz (Smolte) in Birkenau an der Tuchbleiche (Quelle: GVB)
Lachsbesatz (Smolte) in Birkenau an der Tuchbleiche (Quelle: GVB)

3. Wasserkraftanlagen

Leider hat die „saubere Energie“ der Wasserkraftanlagen an dem Verbund-Ökosystem Gewässer in der Vergangenheit größte Schäden anrichtet. Zur Gewinnung von Elektrizität wird das Wasser  aufgestaut. Dies erfolgt üblicherweise mit massiven  Wehranlagen, die das Gewässer aufstauen und das Oberwasser hydraulisch vollkommen vom Unterwasser abtrennen. Aufstauhöhe und Turbinen-Durchflussmenge sind dabei die entscheidenden Faktoren für die Leistung der Anlage.

Das Oberwasser wird seitlich abgeleitet und durch eine Turbine dem Unterwasser zugeführt. Bei wenig Wasserangebot ist es keine Seltenheit, das ein Bach oder Fluss über einen längeren Zeitraum fast vollständig durch die Turbine fließt, während das natürliche Flussbett trocken fällt.

 

Die bisherige Wassergesetzgebung hat dies möglich gemacht, auch weil die ökologisch notwendige Restwassermenge zu gering oder gar nicht definiert wurde. Inzwischen wurde die Wassergesetzgebung dahingehend „reformiert“,  womit die Wirtschaftlichkeit vieler Kleinanlagen nicht mehr gegeben ist. Nach den heutigen ökologischen Mindestanforderungen ist im  Kreis Bergstraße eine wirtschaftliche Nutzung der Wasserkraft nicht mehr möglich. Die behördliche Umsetzung der Mindestwasserregelungen wird aber sicher noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Bei Neuzulassung von Wasserkraftanlagen ist ein Umgehungsgerinne zum Fischauf- und Abstieg sowie ausreichend Restwasser im Flussbett inzwischen europaweit Pflicht. Bei den vielen Altanlagen kann die Ökologie nachträglich nur noch sehr aufwendig nachgebessert werden, eine Umrüstung lohnt sich bei kleineren Anlagen oftmals nicht mehr.

Seltmann-Wehr an der Weschnitz in Zotzenbach (Quelle: Katharina Müller)